Moin moin! Die erste Kurwoche war beendet. Aber von wegen morgens Fango, abends Tango. Gestern war hier Stranddisco und die Musik war wirklich gut. Aber ich hatte den Fehler gemacht und war nachmittags mal eben zum kleinen Supermarkt im Hafen gelaufen. Und genau das trat ein, wovor uns die Physiotherapeutin bei ihrem Vortrag gewarnt hatte. Eine Viertelstunde laufen sollten wir und daran denken, dass man den gleichen Weg wieder zurücklaufen musste. Also zusammengerechnet als Faustregel gab sie uns mit auf den Weg, eine halbe Stunde zu laufen und dann eine halbe Stunde die Beine hochzulegen und zu ruhen. Ganz brav befolgte ich ihren Rat, lockerte nach fünf Minuten Gehzeit die Beine, steuerte bald eine Bank an und dachte: ‚Schön langsam, nichts überstürzen.‘ Und dann schlich sich folgendes Phänomen ein, was die Physiotherapeutin uns so eindringlich beschrieben hatte, und gegen das sich jeder Zuhörer innerlich schon gleich erfolgreich gewehrt hatte: ‚Aber ich doch nicht!‘ Um die nächste Ecke gebogen zog mich der Erfolg, es bis hierhin geschafft zu haben, so in seinen Bann, dass ich nicht mehr auf die Uhr sah. Das war das Gefährliche. Diese Freiheit, dieser neu eroberte Aktionsradius, grandiose Leistung! Alle guten Ratschläge der Therapeutin waren vergessen. Die Krücken liefen schneller als ich selbst. Bei dieser Gangart streckte ich natürlich, unweigerlich, anatomisch begründet, den Po nach hinten raus. Was ist der Unterschied zwischen einer Ente und mir? Keiner! Die Krücken wurden schneller, der Kopf direkt folgend, fasziniert von dem neuen, unendlich weiten Raum, der sich einem bei dieser Eroberung auftat.
|
Hallo, ein kleiner Supermarkt zwischen Souvenirshops mit Postkarten und den üblichen Staubsammlern war das lang ersehnte Ziel? Selbst der kritische Blick auf das Gangbild, den ich bei den Wegen zwischen den Anwendungen immer mal riskierte, fiel hier aus. Das war vielleicht auch besser so. Den Anblick zu beschreiben erspare ich uns an dieser Stelle. O.k., weiter ging es. Bloß nicht beirren lassen! Jeder auch noch so blöde Aushang wurde hochkonzentriert studiert. Ich wollte ja schließlich informiert sein, mitreden können, wieder als voll integriertes, funktionierendes Mitglied der Gesellschaft anerkannt werden und dazugehören. Auch wenn ich in meiner doofen Jogginghose unterwegs war. Ich wusste ja schließlich nicht, wie weit ich kommen würde. Der Spaziergang hätte ja auch an der Strandpromenade enden können. Endlich hatte ich die unendliche Freiheit des Seins wiedererlangt. Ich betrat den Supermarkt. Nur nichts anmerken lassen. Konnte ich eigentlich noch ein-kaufen? Zwischendurch kam mir mal der Gedanke, dass ich ja fünf Monate nicht mehr selbst einkaufen gegangen war. Konnte man das verlernen? Merkten die anderen mir das an? Ich glaubte, es fiel niemandem auf. Und ich hatte die gleiche pragmatische Geschwindigkeit wie immer. Man kam sich eben immer nur selbst so außerirdisch vor. Ich packte souverän die Waren aufs Band, nur keinen Stau an der Kasse provozieren. „Haben Sie nur eine Sache? Dann gehen Sie ruhig vor.“ „Nein, nein, ich habe Zeit, danke.“ Kein Stress, Alles war gut, ich hatte die Situation voll im Griff, schweißgebadet, aber ich ließ mir wie immer nichts anmerken.
|