Intensiv!

Der Pfleger räumte Waschschüssel, Lappen, Cremes, Duschgel, Zahnputzsachen weg und fragte mich, was ich gern zum Frühstück hätte. Ich wünschte mir Weißbrot mit Käse. Er bestrich mir eine Scheibe und schnitt sie in sehr kleine Stücke. Ich dachte noch, ich habe doch Zähne, so klein muss er das Brot wirklich nicht schneiden. Aber ich hätte die ganze Scheibe Brot gar nicht halten können. So saß ich da mit einem Lätzchen um den Hals und versuchte überhaupt erst mal, die Gabel in die Hand zu nehmen, festzuhalten und den Teller mit der Gabel anzusteuern. Schon das schien mir fast unmöglich. Nach einigen Versuchen kam ich an den Teller heran und zielte auf ein kleines Stückchen Brot. Ich musste mehrere Versuche unternehmen. Als die Gabel endlich über einem Stück Brot schwebte, musste ich sie nur absenken und etwas hineindrücken, eigentlich ein ganz normaler Vorgang, aber für mich in diesem Moment fast unerreichbar schwer. Endlich hatte ich ein Stückchen Brot aufgespießt, hob es langsam an, es schwang hin und her und fiel … auf mein Lätzchen! Ich war völlig erschöpft, legte meinen Kopf ab und schloss einen Moment die Augen. Neuer Versuch: Gabel anheben, zum Teller führen, absenken, in ein Stück Brot mit Käse stechen, wieder anheben und ganz vorsichtig zum Mund führen. Dieses Mal war es von Erfolg gekrönt. Ich hatte schließlich Hunger! Noch einige Stücke landeten auf meinem Bauch statt in ihm, aber ich wurde langsam besser. Irgendwann konnte ich nicht mehr und der Pfleger räumte ab, lobte mich, dass ich schon geschafft hatte, selbst zu essen. Er reichte mir die rosafarbene Schnabeltasse mit Pfefferminztee, denn dafür hatte ich keine Energie mehr. Gerade fertig gegessen, der Pfleger hatte das Frühstück abgeräumt, die Augen fielen mir zu, kam die Visite, wieder in großer Besetzung.

Sie machten sich wirklich Sorgen um mich. Der Chefarzt strich mir über die Beine und sah mich zu-frieden und sichtlich erleichtert an. Ein Arzt meinte wieder, es sei ein Wunder, dass ich das überlebt hätte, es hätte sehr knapp ausgesehen und dass ich auch hätte sterben können. Im Nachhinein bin ich heilfroh, dass ich die ganze Dramatik meiner Situation zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht ermessen konnte. Da scheint die Natur dem Menschen eine Art Schutzschirm eingebaut zu haben, der einem nur kleine, verdaubare Häppchen von Verständnis zugesteht. Sonst würde man wahrscheinlich die Situation gar nicht aushalten können. Die Medikamente werden ihr Übriges dazu beigetragen haben, mich zu beruhigen. Wieder müde, wie es schien nur vom Liegen und Essen, schlief ich wieder ein. Dann kam die Physiotherapeutin. Noch fühlte sich mein linkes Bein wie ein Fremdkörper, wie ein kaltes Stück Fleisch an, das leblos an mir hing. Daran, mich selbst zu bewegen, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu denken. Umso verwunderlicher war es, dass ich auf das Kommando der Physiotherapeutin langsam und nur ein bisschen, aber immerhin, die Zehen bewegen und sogar zu mir heranziehen konnte. Ein seltsames Gefühl! Dass es von hier an noch ein elend langer Weg werden würde, mit vielen, vielen Rückschlägen, dass konnte ich zum Glück nicht ermessen. Ich hätte vielleicht aufgegeben. Aber so ging es sehr, sehr langsam wieder aufwärts. Die Physiotherapeutin strich das Bein aus, massierte und bewegte es durch. Auch sie bemerkte immer mal wieder, nicht nur an diesem Tag, was für ein Wunder es sei, dass ich das alles überlebt hätte und schon in dieser kurzen Zeit sichtbare Fortschritte machen würde. Nach einer halben Stunde Arbeit an mir war ich völlig erschöpft und döste wieder ein.

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